Viele Eltern kennen das: Das eigene Kind räumt nicht auf – und genau darüber, warum Kinder nicht aufräumen und was im Alltag wirklich hilft, sprechen wir in diesem Video.
Kinder brauchen Ordnung, Klarheit und Orientierung – aber eben auf ihre Art. In meinem Gespräch mit der Pädagogin Klaudia Krainer-Aunitz tauchen wir tief in die Frage ein, wie Ordnung, Selbstständigkeit und emotionale Entwicklung tatsächlich zusammenhängen. Wir sprechen darüber, warum Kinder nicht machen, was wir sagen, aber sehr genau beobachten, was wir vorleben. Und warum das für jede Familienphase – vom Kleinkind bis zum Teenager – entscheidend ist.
Es geht um Werte, Führung, Grenzen und darum, wie wir als Eltern gelassener bleiben können, wenn unser Alltag uns fordert. Wenn du Lust hast, dich inspirieren zu lassen und neue Perspektiven mitzunehmen, schau dir das Video an. Es lohnt sich.
Klaudia, magst du dich kurz vorstellen und erzählen, wie du Familien unterstützt?
Ich bin ursprünglich Kindergartenpädagogin und habe schon immer im Bereich Elternbildung gearbeitet. Mittlerweile bin ich seit 13 Jahren selbstständige Coachin und Trainerin in der Fortbildung für Eltern, Lehrer, Pädagogen und Menschen, die mit Kindern zu tun haben. Ich stärke Eltern darin, eigene Wege zu finden, mehr Freude, Leichtigkeit und ein schönes Miteinander zu erreichen. Das ist meine Passion!
Viele Eltern wünschen sich mehr Ordnung – aber wo sollen sie anfangen? Was ist aus deiner Sicht die wichtigste Aufgabe der Eltern dabei?
Das ist ein komplexes Thema, weil jeder Mensch und jede Familie einzigartig ist. Eine kurze Antwort ist schwierig, aber ich versuche es.
Unsere Kinder reagieren nicht auf viele Worte. Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist das Handeln. Viel Reden mit 2-, 3- oder 4-Jährigen ist einfach zu viel. Sie können das vom Gehirn – salopp gesagt – gar nicht verarbeiten. Sie verstehen es nicht. Diskutieren, Erklär-Schleifen oder ständiges Wiederholen („Ich hab dir das schon 1000 Mal gesagt“) überfordern Kinder restlos.
Mein Anliegen ist es, Eltern zu begleiten und zu fragen: „Wie geht’s dir dabei?“, „Wo fängt dein roter Zeiger an auszuschlagen?“ Wir sind alle Menschen mit eigenen Gefühlen und Erfahrungen. Unsere Biografie und unsere Ursprungsfamilie prägen uns – das ist so.
Wenn wir mit Druck oder hohen Erwartungen an unsere Kinder herangehen, ist das immer eine Überforderung – für uns und für das Kind. Kinder brauchen eine klare, liebevolle Führung. Eltern sind Führungspersonen. Das klingt vielleicht merkwürdig, aber Eltern brauchen Klarheit über ihre eigenen Bedürfnisse. Zum Beispiel: „Ist das gerade ein Verhalten meines Kindes, das mich triggert?“
Kinder testen – aber nicht, weil sie „schlimm“ sind oder nicht zuhören. Sie brauchen bewusste Eltern, die bei sich selbst beginnen. Schließlich sind wir die Erwachsenen. Machtkämpfe entstehen oft, weil wir es nie gelernt haben. Eltern sein lernt man nicht automatisch. Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu informieren, aber wenn wir emotional ausgelöst sind, funktioniert logisches Denken nicht. Dann beginnt dieses Ping-Pong – egal ob mit kleinen Kindern oder mit Pubertierenden. Das Wichtigste für Eltern ist, sich selbst zu reflektieren. Wir können nicht so erziehen, wie wir erzogen wurden. Zeiten und Methoden haben sich verändert.
Seit über 40 Jahren unterstütze ich Familien, Kinder, Jugendliche, Schüler, Eltern und Großeltern. Wir dürfen erkennen, dass wir bei uns selbst beginnen müssen. Kinder ahmen uns nach – besonders in den ersten 7 Lebensjahren. Sie lernen am Modell. Wenn ich viel spreche, aber anders handle, entsteht ein Widerspruch – und das bringt mich an meine Grenzen, weil ich meine Gefühle oder Auslöser nicht regulieren kann.
Wichtig: Ein Kind ist nicht für die Gefühle der Eltern verantwortlich. Es löst sie nur aus. Kein Kind ist schuld, wenn eine Mutter zehnmal redet, beim siebten Mal laut wird und beim achten Mal schreit. Das ist unsere Verantwortung.
Auch wenn man beruflich erfolgreich ist – Elternsein ist ein anderer Bereich. Mit Kindern werden wir menschlicher, wenn wir das zulassen. Kinder fordern uns heraus und zeigen uns unsere eigenen Prägungen.
Die wichtigste Botschaft ist: Wenn du in einer Sackgasse oder Konfliktsituation bist – STOP:
- beobachte dich.
- welche negativen Endlosschleifen laufen gerade?
- nimm bewusst wahr, was passiert.
- gewinne Klarheit: Ich habe die Verantwortung. Ich bin der Erwachsene.
- was kann ich anders machen? Wie kann ich gut für mich sorgen?
- Denn wenn ich nur gebe, eskaliert die Situation immer wieder.
Wie stark beeinflussen Eltern mit ihrem eigenen Verhalten das Ordnungsempfinden der Kinder?
Super Frage! Wir sind keine Wunderwuzzis. Wenn wir Mama oder Papa werden, wissen wir nicht alles und können auch nicht alles. Wir sind Menschen und haben Gefühle – und das ist gut so. Kinder lehren uns, mit unseren eigenen Themen und Gefühlen neue Wege zu finden. Warum das so ist, möchte ich kurz erklären: Entwicklungsphasen sind wichtig. Ich spreche mit einem 2-Jährigen ganz anders als mit einem 14-Jährigen.
Von 0–7 Jahren, im ersten Jahrsiebt, steht der Körper im Vordergrund. Kinder erleben die Welt über ihre Sinne, über Erfahrungen, über das Spüren. Deshalb ist jedes Wort zu viel. Sie erleben alles über fühlen und den Körper – zu viel Reden überfordert.
Was mache ich stattdessen? Wenn mein Kind spielt und ich sage: „Es ist Zeit zum Aufräumen“, dann wiederhole ich das oft, aber das Kind hört nicht oder will nicht hören.
„Es folgt schon wieder nicht“ – das stammt aus früheren Generationen. Kinder sind heute keine Befehlsempfänger. Wir wollen, dass sie sich eigenständig und gesund entwickeln.
Wenn eine solche Situation eintritt, ist das Kind nicht böse oder frech. Es kann es vom Gehirn her nicht einordnen. Deshalb ist Blickkontakt wichtig. Ich rufe nicht aus der Küche, sondern gehe hin, berühre mein Kind an Schulter oder Arm – es spürt mich. Dann gebe ich eine kurze, klare Information.
Wichtig ist auch, auf das Kind einzugehen – es hat gerade andere Bedürfnisse als wir. Vielleicht haben wir es eilig, aber wir müssen Zeit einplanen.
Olivia: Wie lang wäre so ein Zeitabschnitt?
Wenn ich am Abend möchte, dass aufgeräumt wird, mein Kind aber mitten im Spielprozess ist …
Spielen ist Lernen – durch Erfahrung, durch Fehler, durch Üben, durch Ausprobieren, Kreativität
… dann kann es nicht sofort umschalten. Also gehe ich hin, berühre mein Kind und sage:
„Es ist bald Zeit zum Aufräumen.“ Wenn ich früh genug dran bin und keinen Stress habe, kann ich auch eine 3-Minuten-Sanduhr verwenden. Kinder haben kein Zeitgefühl. Aber sie bekommen die Information: Bald ist Schluss. Das Umschalten braucht Zeit – das ist altersentsprechend.
Wenn ich wirklich möchte, mein Kind klar und liebevoll zu begleiten, statt zu „erziehen“, dann brauche ich Empathie und Wissen darüber, was in welchem Alter möglich ist.
Zusammenfassend:
Hingehen – berühren – klare Ansage – Zeitangabe mit Sanduhr oder Eieruhr – wenn es klingelt, komme ich wieder, dann räumen wir zusammen auf.
Gibt es Rituale oder Routinen, die du besonders empfehlen kannst – z. B. vor dem Schlafengehen oder nach dem Kindergarten/der Schule?
Rituale sind für Kinder im ersten Jahrsiebt sehr wichtig. Rituale, Gewohnheiten und Strukturen geben die Erwachsenen vor. Kinder sind nicht in der Lage, selbstständig Entscheidungen zu treffen – das würde sie völlig überfordern. Aussagen wie: „Zieh an, was du willst“, „Iss, wann du willst“ oder „Wenn du bei minus drei Grad keine Jacke anziehen willst, wirst du es schon selbst spüren“ überfordern Kinder.
Es gab eine Phase in der Erziehung, in der man meinte, Kinder wüssten selbst, was sie brauchen. Nein. Das wissen sie nicht – das weiß der Erwachsene. Vor allem wenn es um Gesundheit und Sicherheit geht, brauchen Kinder Führung.
Je mehr man Kinder in diesem Alter Entscheidungen treffen lässt oder mit einem Zweijährigen diskutiert, desto überforderter ist das Kind. Kinder brauchen einen Rahmen und Führung. Rituale beginnen immer bei den Erwachsenen selbst: dass man sich sammelt und nicht verärgert zum Kind zurückgeht. Kinder spüren Ärger sofort. Für Eltern ist es wichtig, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und sich Pausen zuzugestehen. Sagt man zum Kind: „Ich brauche fünf Minuten Pause“, kann man z. B. eine Eieruhr oder Sanduhr verwenden. Das Kind sieht, wie die Zeit abläuft, und hört den Ton. Dann weiß es: Jetzt ist wieder Mama-Zeit.
So lernen Kinder, dass Mama und Papa sich selbst gut versorgen. Eltern sind nicht 24/7 verfügbar – das ist menschlich. Selbstfürsorge ist wichtig: ein Glas Wasser trinken, tief durchatmen. Tiefes Atmen klingt banal, aber es verändert die Gefühlslage sofort. Muskeln werden besser durchblutet, das Gehirn bekommt mehr Sauerstoff und man ist nicht mehr so überflutet. Man kann aus dem Fenster schauen oder einen angenehmen Duft nutzen. Alles, was einen kurz aus dem „roten Bereich“ holt.
Wir Erwachsene sollten gut auf unsere Bedürfnisse achten. Wir brauchen kleine Skills für den Moment, denn wenn ich im roten Bereich reagiere, entsteht oft ein schlechtes Gewissen. Dann bin ich auch nicht mehr in der Lage, so mit meinem Kind zu sein, wie ich es mir wünsche.
Olivia: Zusammenfassend: Man sollte das Verhalten der Kinder nicht so interpretieren, als wollten sie einen absichtlich ärgern oder provozieren. Sie sind keine kleinen manipulativen Wesen. Man muss lernen, wie man mit kleinen Kindern umgeht – auf ihrer Ebene und auf Augenhöhe, sodass sie es verstehen.
Kurze Berührung, Blickkontakt, auf Augenhöhe sein und in kurzen Sätzen sagen, was man erwartet.
Kinder verstehen oft, was man von ihnen möchte, auch wenn sie nicht verbal antworten können.
Ich gebe meinem Sohn (3 Jahre) oft Optionen: „Wir gehen jetzt einkaufen. Ziehst du deine Schuhe selbst an oder soll ich dir helfen?“ Damit reduziere ich Überforderung. Ich gebe ihm nicht die Entscheidung darüber „Welche Schuhe willst du?“, wenn fünf Paar vor ihm stehen. Die Grundentscheidung – je nach Wetter – treffe ich. Und dort, wo er selbstständig sein kann, bekommt er Optionen. Ist er nicht bereit, unterstütze ich ihn.
Ist das korrekt zusammengefasst?
Sehr schön. Ein Punkt ist mir dabei wichtig: Wir erwarten zu viel von unseren Kindern. Erwartungen erzeugen unbewusst Druck – wie wenn man am Gras zieht, damit es schneller wächst. In den ersten Lebensjahren (bis etwa 7 oder 8) ist entscheidend: Ist es meine Erwartung? Oder sehe ich mein Kind und seine Bedürfnisse?
Viele Eltern sagen: „Wir machen keinen Druck wegen Schule oder Noten.“ Kinder spüren trotzdem Erwartungen. Wenn ich meine Erwartungen selbst reflektiere und genug Vorlaufzeit einplane, hat das Kind Zeit und Raum. Kinder brauchen Zeit und Raum.
Ein Beispiel, das mir oft weh tut: Kinder, die in Einkaufssituationen an der Hand hinterhergezogen werden. Kinder werden in unsere Hamsterräder hineingedrängt: schnell, schnell, weiter, weiter. Freiwilligkeit kann man schon früh beginnen: „Willst du die Schuhe selbst anziehen oder soll ich dir helfen?“ Das zieht sich bis in die Schulzeit. Man kann nicht plötzlich mit acht Jahren sagen: „So, ab jetzt machst du deine Aufgaben selbst.“ Das erzeugt Druck und geht an den Bedürfnissen der Kinder vorbei. Kinder brauchen Schutz, Geborgenheit und ein „Ich liebe dich so, wie du bist.“ Nicht, weil sie Erwartungen erfüllen.
Strenge Erziehung aus früheren Generationen („man muss hören, folgen, wehe wenn nicht…“) stammt aus anderen Zeiten – Nachkriegszeit, Existenzsorgen, Leistungsfokus. Heute geht es darum zu erkennen: Das ist ein Kind.
Oft haben Eltern sehr hohe Erwartungen und drängen Kinder in die Erwachsenenwelt, weil sie sprachlich so weit wirken. Doch das Verhalten zeigt oft etwas anderes – und Kinder brauchen freie Zeit, Spiel und Raum. Wir Erwachsenen sind für die Organisation von Zeit und Raum zuständig.
Wenn etwas schiefgeht oder mich ärgert, dann bin ich als Erwachsener für meine Emotionen verantwortlich. Nicht das Kind. Das ist ganz wichtig.
Olivia: Zurück zur Frage zu Ritualen und Routinen sowie dem Thema Ordnung: Wie kann ich Kindern Ordnung beibringen? Hast du je Altersgruppe (0–7, 7–14, 14–21) ein bis zwei Tipps, wie Eltern mitwirken können?
Ich habe viele Ideen. Das ist meine Passion: Dinge ins Bewusstsein zu bringen. Wir haben vieles nie gelernt. Ich bin selbst Mama, und das, was ich erzähle, ist nicht nur Theorie – ich kenne die Situationen zu 100 %.
Die Aufgabe als Elternteil ist, immer wieder herauszufinden: Was kann ich jetzt tun? Wie kann ich etwas ändern? Mit Strafen, Nötigung oder Angst („Der Krampus kommt“ / „Die Polizei holt dich“) erreicht man nichts. Diese Aussagen entstehen aus Hilflosigkeit. Eltern handeln so, wenn sie auf 10 sind und die rote Nadel ausschlägt. Schuldgefühle helfen nicht weiter. Anerkennen, dass die Situation überwältigend war, ist entscheidend.
Wenn ich wieder ruhig bin, kann ich überlegen: Wie war die Situation? Was hätte ich gebraucht, um nicht auszurasten? Wie möchte ich mit meinem Kind sein?
Jetzt zu den Tipps – ohne Ratschläge. Ich begleite Eltern so, dass sie selbst erkennen, was stimmig ist. Freiwilligkeit ist entscheidend.
Erstes Jahrsiebt (0–7 Jahre): Körper, Fühlen, Nachahmen
Wenn ich selbst Ordnung und Struktur brauche, wird das Kind es nachahmen. Es braucht dabei aber liebevolle Führung. Ich erwarte nicht, dass mein Kind sein Spielzeug selbst wegräumt oder weiß, wohin etwas gehört.
In Krippe und Kindergarten lernen Kinder bereits Grundstrukturen. Als Elternteil gehe ich hin und räume auf. Das Kind beobachtet. Manche schauen länger zu, manche weniger – aber sie wollen mithelfen.
Die Grundannahme: Kinder wollen beitragen.
Ich begleite meine Tätigkeit verbal:
„Ich gebe die Autos in diese Box.“
„Die Bücher stelle ich ins Regal.“
„Die Pölster kommen in den Korb.“
Das Kind muss nicht mitmachen – MUSS erzeugt Druck. Durch verbale Begleitung helfe ich im Lernprozess. Kinder sind begeisterungsfähig, wenn ich selbst ruhig und geduldig bin. Wenn ich jedoch gestresst bin („es ist schon so spät“), funktioniert das nicht. Geduld ist entscheidend. Kinder wollen helfen – seit 43 Jahren beobachte ich das.
Wenn das Kind um 19 Uhr schlafen soll und ich noch kuscheln will, orientiere ich mich an seinen Bedürfnissen. Beobachten, erklären, begleiten. Und: Weniger Spielzeug hilft enorm. Zuviel Material überfordert. Die Aussage „Mein Kind spielt nicht alleine“ ist oft eine Folge davon. Kleine Kinder KÖNNEN nicht allein spielen – das ist neurologisch normal.
Viele sagen: „Ich muss immer mitspielen“ oder „Beim Nachbarn geht das alles schon.“ Vergleiche über Social Media sind schädlich. Jedes Kind ist einzigartig. Jede Familie hat eigene Bedürfnisse.
Zweites Jahrsiebt (7–14 Jahre): Gefühle, Verständnis, innere Entwicklung
Entwicklungsphasen sind innere Prozesse. Man kann sie nicht „anschalten“. Man kann nur begleiten.
Im zweiten Jahrsiebt spielt die Seele eine große Rolle. Kinder reagieren stark emotional. Wenn ich auf die Wut meines 8-Jährigen mit meiner Wut reagiere, bin ich nicht in Führung. Dann entsteht ein Machtkampf. Deshalb brauche ich Skills, um mich selbst zu regulieren. Hier ist es wichtig, dass Kinder verstehen wollen: Warum soll ich etwas tun?
Ich kann erklären: „Mir ist Ordnung wichtig.“ oder „Das gehört zu deiner Gesundheit/Hygiene.“
Fragen wie „Brauchst du meine Hilfe?“ kann ich immer noch stellen. Man kann Aufgaben aufteilen: „Was möchtest du übernehmen, was übernehme ich?“ – aber die Eltern entscheiden letztlich, weil sie verantwortlich sind. Empathie bleibt entscheidend: „Ich verstehe dich, das ist nervig. Ich weiß, du willst noch chatten, aber jetzt ist es Zeit für …“
Olivia: Ist das der Zeitpunkt, Aufgaben wie Geschirrspüler ausräumen zu übergeben? Viele Eltern haben im ersten Jahrsiebt alles selbst gemacht – aus Zeitdruck. Mit 12 erwarten sie dann plötzlich Selbstständigkeit, aber die Kinder haben es nie gelernt. Wie du sagst: Am besten von klein auf einbeziehen.
Dein Beispiel ist großartig: Dein Sohn interessiert sich mehr für Putzen als fürs Aufräumen. Interessen zeigen den Weg. Beim Aufräumen nicht zwingen. Aber die Regel: „Wir holen nichts Neues heraus, bevor das Alte weggeräumt ist.“ Kinder brauchen Regeln für Sicherheit.
Weiter im zweiten Jahrsiebt
Die Freude am Tun zu erhalten, ist entscheidend. Wenn man als Elternteil immer „schnell schnell“ übernimmt (Schuhe zubinden etc.), verliert das Kind die Freude am Mitmachen. Im zweiten Jahrsiebt brauchen Kinder Motivation und Nutzen: „Warum soll ich das tun?“
Gesundheit, Hygiene, Verantwortung für Materialien – all das kann man erklären. Eltern sollten sich weiterbilden: Was kann ein Kind mit 3? Was kann ein Kind mit 8?
Empathie, Führung, Übung – das ist der Weg. Kinder lernen am Modell: Wenn ich selbst schnell ausflippe, lernt mein Kind genau das.
Olivia: Zum Thema Prägungen: Viele Menschen verstehen nicht, warum sie selbst unordentlich sind, obwohl die Mutter extrem ordentlich war. Gründe können sein:
– Die Mutter hat alles abgenommen → Kind konnte es nie lernen.
– Jugendliche wollten „nicht so wie die Mutter“ sein → Gegenteil gelebt.
Aber mit Mitte 30 und eigener Familie geht das nicht mehr. Dann braucht man eine eigene Form von Ordnung – unabhängig von der Mutter. Genau hier zeigt sich, wie stark Prägungen wirken, Jahrzehnte später.
Welche Rolle spielt Ordnung in Bezug auf Selbstständigkeit, Sicherheit und Grenzen bei Kindern?
Das ist eine schöne Frage, denn Werte bestimmen unser Leben. Jeder Mensch hat seine eigene Werteskala. Für manche steht Leistung ganz oben, oft weil sie so aufgewachsen sind — vielleicht in einer sportlichen Familie. Wir alle haben Prägungen, vor allem aus den ersten sieben Lebensjahren. In dieser Zeit lernen wir am Modell. Kinder lernen nicht durch Erklärungen, sondern durch Beobachtung: „Wie läuft es hier zuhause?“, „Wie geht Papa mit seiner Wut um?“, „Wie reagiert Mama in bestimmten Situationen?“
Das alles prägt uns unbewusst. 95–98 % dessen, was wir tun, passiert unbewusst. Wenn ein Kind uns triggert, also einen inneren Knopf drückt oder einen Wert verletzt — z. B. Ordnung — passiert die Reaktion ebenfalls unbewusst. Wir wissen oft nicht, warum wir so reagieren. Genau deshalb dürfen wir hinschauen und erkennen: „Für mich ist Ordnung wichtig, das ist mein Bedürfnis. Aber in einer Familie funktioniert es vielleicht nicht mehr so wie früher.“
Oft treffen in Partnerschaften Gegensätze aufeinander — einer braucht mehr Ordnung, der andere weniger. Wichtig ist die respektvolle Lösung, nicht dass eine Person bestimmt, wie es zu laufen hat. Das gilt auch bei Kindern. Entscheidend ist, wie wir vorleben und wie wir mit ihnen sprechen. Je älter Kinder werden, desto wichtiger wird Kommunikation. Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten – nicht auf der Welt, um wie wir zu werden, sondern um ihr eigenes Potenzial zu entfalten. Unsere Aufgabe ist, sie dabei zu begleiten. Struktur, Ordnung, Gewohnheiten und Rituale geben Sicherheit und Regeln.
Ein wichtiger Punkt: Viele Eltern wollen heute Freunde ihrer Kinder sein – „coole Mama, cooler Papa“ – und lassen dadurch die liebevolle, aber klare Führung schleifen.
Olivia: Ich verstehe, worauf du hinauswillst, vor allem bei Kindern zwischen 7–14 und 14–21 Jahren.
Das beginnt manchmal schon mit neun Jahren. Eltern rufen mich an und sagen: „Mein Sohn ist neun, aber der pubertiert schon.“ Klare Führung ist wichtig. Wir sind nicht die besten Freunde, wir sind Mama oder Papa. Wir tragen die Verantwortung und brauchen die Haltung: „Ich sehe mein Kind, ich sehe seine Bedürfnisse, und ich übernehme die Führung.“
Je älter Kinder werden, desto entscheidender ist die Kommunikation. Jugendliche wollen verstanden werden, einen Sinn erkennen und gehört werden. Gleichzeitig beginnt die Identitätsentwicklung. Wenn Kinder ständig Machtkämpfen ausgesetzt sind, haben sie nur die Möglichkeit, dagegen zu sein. In dieser Altersphase ist es normal, dass das, was Mama sagt, peinlich ist. Wichtig ist, dass Eltern das nicht persönlich nehmen, gut für sich sorgen und als Erwachsene weiterhin Rahmen und Grenzen setzen: „Ich bin verantwortlich. Es geht um deine Gesundheit und Sicherheit.“
Ein Beispiel: Ein Jugendlicher, der bis drei Uhr morgens am Handy ist – das passiert heute sehr oft. Wenn das so ist, ist irgendwo Führung verloren gegangen. Eltern tun ihr Bestes, aber manchmal braucht es Nachjustierung.
Olivia: Viele Eltern haben Angst vor der Teenagerzeit, weil der Aufbau davor so wichtig ist und Jugendliche trotzdem verstanden werden wollen. Im Alltag bleibt oft wenig Zeit. Mein Kind ist erst drei Jahre alt, aber wenn ich jugendliche sehe, frage ich mich: „Mein Gott, was mache ich, wenn er so groß ist?“
Du wirst da hineinwachsen. Ich wünsche Eltern, dass sie sich selbst ernst nehmen. Ich bin selbst Mama und kenne viele tiefe Täler. Als Pädagogin hatte ich viele Vorstellungen, bevor mein Kind da war. Dann kommt das Kind – und alles ändert sich. Beziehung ist Arbeit. Eltern wachsen mit ihren Kindern, wenn sie es wollen. Wer immer in der Komfortzone bleibt und sich nicht selbst reflektiert, wird dieselben Muster weitergeben – generationenübergreifend.
Olivia: Es ist spannend, dass ich erst mit meinem Kind begonnen habe zu reflektieren: „Was will ich für mein Kind?“ und „Was ist mir in meiner Kindheit passiert?“ Wenn ich früher Fragen hatte, bekam ich oft: „Erkläre ich dir, wenn du älter bist.“ Drei Jahre später wusste ich die Frage nicht mehr. Dieses Runterdrosseln möchte ich meinem Kind nicht weitergeben. Auch zwischen 7–14 war das Thema Verstehen sehr wichtig für mich. Ich habe Aufgaben wie Müll rausbringen oder Geschirrspüler ausräumen gemacht, um keinen Ärger zu bekommen. Aber mir hätte das Erklären sehr geholfen.
Kommen wir zur nächsten Frage.
Wie bleibt man als Eltern gelassen, wenn die eigenen Vorstellungen von Ordnung nicht erfüllt werden? (Bezieht sich auf 14–21-Jährige)
Das ist eine komplexe Frage. Das Fundament wird in den ersten sieben Jahren gelegt — wenn man auf Freiwilligkeit setzt, dem Kind Zeit gibt und keinen Stress erzeugt. Im zweiten Jahrsiebt (7–14) kommen Empathie, Gefühle, Nein-Sagen und Rebellion dazu. Wichtig ist, in Verbindung zu bleiben. Wenn man nur sagt: „Du hast das zu tun“, entsteht Druck. In früheren Generationen gab es Sätze wie: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst…“
Wichtig ist, Frieden mit der eigenen Kindheit zu schließen. Unsere Eltern haben nach bestem Wissen gehandelt. Wir können es heute anders machen. Zwischen 7–14 ist es wichtig, respektvoll nachzufragen: „Wie ist das für dich?“ und trotzdem klar zu bleiben: „Ich bestimme nicht, wann du Hausaufgaben machst oder dein Zimmer aufräumst, aber in dieser Woche ist es zu tun.“ Wenn es nicht passiert, fragen: „Brauchst du Unterstützung?“ Das gilt bis ins Jugendalter. Unterstützung anzubieten, statt zu kontrollieren, macht einen großen Unterschied. Wenn Regeln liebevoll, respektvoll und klar sind, entsteht weniger Widerstand.
Olivia: Gilt das auch für 14–21-Jährige?
Ja, und es wird noch spannender, denn das ist die Phase der Ablösung. 0–7 ist der Körper, 7–14 das Gefühl, 14–21 der Geist und das Logische. Jugendliche sind extrem gerechtigkeitsaffin. Wenn etwas unfair wirkt und Papa sagt: „Du machst das, weil ich es sage“, landen wir im alten Muster. Jugendliche brauchen Verständnis und Einsicht. Sie müssen selbst entscheiden dürfen – wichtig für ihre Identitätsentwicklung.
Wenn jungen Männern alles abgenommen wird, nehmen wir ihnen Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl. Die unbewusste Botschaft lautet: „Du kannst es nicht alleine.“
Olivia: Das ist oft ein Mutter-Sohn-Phänomen. Ein Klassiker.
Noch kurz zu den 14–21-Jährigen: Wenn ich sage: „Der Boden wird einmal pro Woche freigeräumt, damit man saugen kann“ – dann soll nicht Mama saugen, sondern das Kind. Mama und Papa brauchen Skills, um Spannung auszuhalten und Geduld zu haben. Solange Eltern es selbst erledigen, wird es der Jugendliche nicht tun.
Wenn man im zweiten Jahrsiebt gut kommuniziert hat, ist die Basis da. Beziehung ist Arbeit. Eltern sollten sich bewusst Zeit für ihr Kind nehmen, statt Netflix oder Chatten zu priorisieren. Die beste Basis ist: Zeit, Empathie und Führung.
Das Aushalten eines „Chaoszimmers“ ist für Eltern oft schwer. Je mehr Druck, desto mehr Widerstand. Mit Strafen und Drohungen erreicht man selten nachhaltige Veränderung. Regeln sind wichtig, aber ebenso wichtig ist deren konsequente Umsetzung. Zuhause soll ein Ort sein, an dem sich alle wohlfühlen – dazu trägt jeder bei.
Olivia: „Aber es ist mein Zimmer!“
Ja, im eigenen Zimmer darf das Kind tun, was es möchte. Aber Eltern dürfen aufklären — z. B. über Hygiene. In Gemeinschaftsräumen gelten gemeinsame Regeln, auch für Papa. Jugendliche merken schnell, wenn Erwachsene Dinge verlangen, die sie selbst nicht einhalten. Fairness ist in diesem Alter zentral.
Jugendliche brauchen liebevolle Führung, Interesse, Gesprächsbereitschaft. Wenn Eltern aus Zeitmangel lieber schnell Geld geben oder Dinge übernehmen, ist das meist Überforderung und Stress, keine Absicht. Veränderung beginnt immer bei den Eltern. Beide Elternteile haben unterschiedliche Prägungen und Werte. Kommunikation ist der Schlüssel.
Wichtig ist, Person und Verhalten zu trennen. Nicht sagen: „Du bist schlampig“, sondern Verhalten benennen. Eltern bleiben Eltern – auch wenn die Partnerschaft endet. Es ist Verantwortung, nicht Schuld. Eltern sollen sich mit dem Herzen verbinden, weniger mit Erwartungen und Druck. Wenn man feststeckt, sollte man sich Unterstützung holen – Podcasts, Beratung oder Selbstreflexion.
Es braucht Zeit, genau wie Kinder Zeit brauchen, Neues zu lernen. Aber es gibt immer Lösungen.
Olivia: Ich sehe bei meinen Kund:innen oft große Häuser, Vollzeit arbeitende Eltern und überfüllte Räume. Viele beginnen bei den Kinderzimmern. Ich sage: Nein, Kinderzimmer sind der letzte Raum. Nach KonMari beginnt man mit Kleidung, dann Bücher, Dokumente, Komono (Küche, Wohnzimmer, Keller …). Die Kinder beobachten und lernen. Oft sagen Kinder später selbst: „Können wir mein Zimmer machen? Ich hätte gerne wieder Platz.“ Männer beobachten oft ebenfalls erst und steigen dann ein. Vorleben ist entscheidend.
Wenn Eltern mich kontaktieren, erwarten manche, dass ich die Kinder „repariere“. Aber es sind nie die Kinder. Kinder zeigen nur Symptome durch ihr Verhalten.
Olivia: Ein Beispiel: Eine Familie mit zwei Kindern, das Mädchen im Kindergartenalter. Das Zimmer war voll mit Spielsachen in großen Laden. Ich fragte das Mädchen: „Zeig mir das Spielzeug, mit dem du gar nicht gerne spielst.“ Die Mutter wollte zuerst selbst antworten, aber ich bat sie, die Tochter entscheiden zu lassen. Das Mädchen holte ein Stofftier – eines, das sie zur Geburt von der Oma bekommen hatte. Die Mutter war überrascht, weil sie emotional daran hing. Dann brachte das Mädchen ein zweites Stofftier – das von der Mutter aus deren Kindheit. Die Mutter übertrug ihre eigenen Gefühle auf das Kind, doch für die Tochter hatten diese Dinge keinen Wert. Zwei Gegenstände, die das Zimmer über Jahre blockierten.
Als Lieblingsspielzeug brachte das Mädchen einen Zauberstab – völlig anders als das, was die Mutter erwartet hatte.
Eltern meinen es gut, sind sich aber oft nicht bewusst, was sie in Kinder hineininterpretieren.
Olivia: Diese Erfahrungen habe ich oft. Wir haben schon überzogen, aber es ist wahnsinnig spannend, mit dir zu sprechen. Kommen wir zu meiner letzten Frage:
Gibt es einen Tipp oder eine Übung für Eltern, um selbst gelassener zu werden und Kindern Selbstständigkeit, Ordnung und Werte vorzuleben?
Eltern sollen Verantwortung für ihre eigenen Gefühle übernehmen. Es gibt Vorwarnzeichen — das innere Barometer geht von Grün über Gelb zu Orange. Wenn es Orange wird, bevor es Rot ist: eine Pause machen. Rausgehen, zehn tiefe Atemzüge, Wasser trinken — Atmen ist ein Reset. Nicht im roten Bereich mit dem Kind interagieren.
Eltern brauchen ein gefülltes „Freudedepot“. Kinder sind nicht dafür da, uns Freude zu machen. Vor allem Mütter mit mehreren Kindern brauchen Me-Time — auch wenn es nur 10–15 Minuten sind. Wenn das Freudedepot leer ist, reagiert man anders, bekommt Schuldgefühle und ist sich selbst böse.
Eine hilfreiche Übung: Ein Blatt nehmen und alle liebenswerten Eigenschaften des Kindes aufschreiben. Keine Leistungswerte wie „ lauter Einser“. Sondern echte Eigenschaften, die man wertschätzt. Das hilft, den Fokus zu verändern. Oft sehen wir nur das, was nicht passt.
Olivia: Das ist wichtig, gerade in überfüllten Haushalten mit Stress, Arbeit und Verpflichtungen. Man kann nicht alles gleichzeitig managen. Überforderung ist normal. Deshalb hilft es, zuerst in sich zu gehen, klar zu werden und nicht Muster zu wiederholen, die man aus der eigenen Kindheit kennt.
Vielen Dank, Klaudia, für deine Zeit und die ausführlichen Antworten. Abschließend: Wie kann man mit dir arbeiten, was bietest du konkret an?
Ich habe reduziert und arbeite nur noch in der Praxis. Wer Kontakt aufnehmen möchte, kann das über die Webseite tun: https://krainer-aunitz.at/
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Die Autorin:
Olivia Reinmüller ist zertifizierte KonMari Ordnungsberaterin und zeigt Frauen wie Männern, wie sie ihr Zuhause effektiv und nachhaltig in Ordnung bringen können. Sie vermittelt ihr Wissen in one:1 Coaching Sessions vor Ort, in Online Kursen und Workshops sowie in Vorträgen. Sie lebt mit ihrer Familie in ihrer Heimatstadt Kapfenberg, liebt das Reisen und Frei sein und empfindet das Leben als großes Abenteuer.





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